Von Andreas Degkwitz
Lieber Peter,
offene Briefe sind meine Sache eigentlich nicht. Doch habe ich zum Thema „Non-Open oder Open Access?“ keine Alternative, Dir meine festschriftlich gestimmte Sicht der Chancen und Risiken dieses Publikationsmodells anders als „offen“ vor Augen zu führen. Ob meine Eindrücke tatsächlich zutreffend sind, das wirst Du sicher bestens zu bewerten und einzuschätzen verstehen.
Was Open Access ist, glauben heute die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstanden zu haben. Doch das heißt nicht, dass alle, die „Open Access“ verstanden zu haben glauben, die Ergebnisse ihrer Forschungen „Open Access“ veröffentlichen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil es so gut wie nichts gibt, was so plausibel für die Wissenschaft ist, wie „Open Access“ oder, besser gesagt, nach den Prinzipien von „Open Access“ zu publizieren. Im Grunde müsste mit „Open Access“ Aufbruchsstimmung in allen Disziplinen und Fachgebieten der Academia herrschen. Denn mit „Open Access“ bietet sich für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die fast einmalig gute Gelegenheit, nicht nur das Richtige zu machen, sondern das Richtige auch noch richtig zu tun.
Dass diese Publikationsoption noch nicht in dem Umfang genutzt wird, den sie im Grunde verdient, mag Befürworter dieses Publikationsmodells mit Sicherheit schmerzen, bisweilen sogar entrüsten. Für Beobachter ist dieser Sachverhalt hoch interessant. Denn was sich die eine oder der andere sagen, ist ungefähr Folgendes, dass „Open Access“ im Grunde das Richtige ist, doch dass einem und einer einfach nur schwerfalle, dem genau Richtigen schlicht und ergreifend nur folgen zu müssen, ohne nochmals gefragt zu werden, ob „Open Access“ tatsächlich das Richtige ist. Das ist in etwa so, als dürfe Schokolade mit ganzen Nüssen nicht schmecken, da die allgemeine Vermutung besteht, dass Salat das Wohlbefinden auf jeden Fall steigert, da Salat den Cholesterinspiegel senkt. Oder es ist ungefähr so, als werde an heißen Sommertagen besser ein warmes, schales Bierchen getrunken, weil kaltes Bier gemäß „opinio communis“ die Magenfauna zerrüttet und den Durst gar nicht löscht. Oder als ginge man werktags – zwar nur eingeschränkt, aber mit genügend Kalorien gesättigt – stets früh zu Bett, um die Tiefschlafphase nicht zu verkürzen, die einem und einer für „morgen“ mit dem Schinken des vollen Leistungsvermögens winkt. Anders gefragt: Wer lebt schon gerne nach Rezepten, seien diese auch noch so vernünftig, so dass ein „Nein, danke!“ eigentlich gar nicht mehr möglich ist?
Doch hängt „Open Access“ nicht mit Diät noch mit gesunder Lebensführung zusammen – insofern sind sämtliche solcher Vergleiche im Grunde falsch. Aber wenn die Kunde von einem neuen Ökosystem der Wissenschaft zu vernehmen ist, zu dem nur „Open Access“ Zutritt gewähren kann, dann fürchten sich viele und sehen fast Anlass zur Flucht. Denn dort glauben sie nicht im Regen, sondern mit Open Access, Open Data, Open Knowledge, Open Platform, Open Science, Open Source im Hagel von „open“ und „open“ und nochmals „open“ zu stehen – denn nichts gibt es dort, was „non-open“ ist! Gatekeeper dieser „Open Landscape” beeindrucken zwar mit „Open Mind“. Doch „Open Access“ ist so einschränkungslos richtig, wie Open Access ohne jedes Erbarmen das Richtige ist. Auch hat der Systemwandel sein akronymes Vokabular: APCs, CC-Lizenzen, Green und Golden Road, GitHub und Hashwert, OA-Census und -Netzwerk, Hosts oder Repos, CLOCKSS und LOCKSS, OAI oder OAIS, PDF/A, Off-Setting- und Hybrid-Modelle, HTML oder XML usw. – ein spritziger Wort-Potpourri, der gelegentlich alles andere als gerade „open“ im Sinne von „dem Verständnis frei zugänglich“ ist.
Nein, leichte Kost ist „Open Access“ nicht und bestimmt auch kein Spar-Menü, wenn man sich die APC-Preise des einen oder anderen kommerziellen Verlages auf der Zunge zergehen lässt. Auch werden mit „Open Access Platin“ die Open-Access-Wege immer goldener, sicher auch wertintensiver. Doch trotz bisweilen heißer Debatten scheinen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für „Open Access“ nicht wirklich erwärmen zu wollen. Lassen sich Open-Access-Publikationen denn nicht unters Kopfkissen legen? Open-Access-Lesezirkel sind sicher keine Option – nicht auf Basis von CC BY noch mit CC BY-NC oder sogar -ND. Social Reading hört sich anstrengend an und unterlässt man besser. Close- oder Distant-Reading versteht Otto-Normal-Verbraucher nicht, da Lesen oder Nicht-Lesen in Wahrheit die Frage ist. Data- und Text-Mining geht darauf leider nicht ein. Deshalb noch einmal grundsätzlich: Versteht sich „Open Access“ mehr als ein Weg oder ist „Open Access“ das Ziel?
„Open Access“ ist ein Geschäftsmodell, das wie alle Geschäftsmodelle den Markt zu erobern versucht. Die Wortkomponente „Geschäft“ mag man im Open-Access-Kontext vielleicht nicht so gerne hören, weil „Geschäft“ der frohen Botschaft vom freien Zugang zur Information viel Erdenschwere verleiht. Doch ohne Bodenhaftung funktioniert auch „Open Access“ nicht. Selbst Freiheit hat ihren Preis – und so „Open Access“ auch: Entweder als virtuelle Hochglanzpublikation eines Premium-Publishers oder als No-Name-Produkt auf einem allenfalls mittelmäßig Aufmerksamkeit schaffenden Repositorium. Und dazwischen gibt‘s nichts? Doch, da gibt es den edoc-Server unserer Alma Mater, mit dem in Berlin, mehr noch im gesamten, wiedervereinigten Deutschland „Open Access“ so richtig Fahrt aufgenommen hat. Wo wären und stünden wir heute ohne den edoc-Server, der mittlerweile nicht nur Open-Access-Publikationen, sondern auch Open Data enthält und dabei so richtig dSPICY schmeckt.
Lieber Peter, dafür sei Dir von allen und nicht zuletzt von mir wieder und wieder ganz herzlich gedankt!
Mit besten Grüßen
Andreas