Peter Schirmbacher: Ein Mann zum Pferde Stehlen – oder lieber: zum DINI Gründen


Von Elmar Mittler

Die enge Zusammenarbeit zwischen Rechenzentren und Bibliotheken bei den digitalen Informationsdienstleistungen der Hochschulen ist heute eine Selbstverständlichkeit. Doch es war ein langer Weg dahin – und Peter Schirmbacher ist einer der Wegbereiter. Immerhin, 1991 hatte es schon einmal eine gemeinsame Konferenz der Rechenzentren (Arbeitsgemeinschaft der Leiter wissenschaftlicher Rechenzentren) und der wissenschaftlichen Bibliotheken (DBV-Sektion 4) mit dem Titel „Neue Kommunikations- und Informationsdienste“ gegeben – doch so richtig in Fahrt kam das Thema erst Mitte der 90er-Jahre mit dem BDB-Papier „Rolle der Bibliotheken im Zeitalter der Datenautobahnen und internationalen Netze“ und den Empfehlungen der Bibliothekskommission und der Kommission für Rechenanlagen der DFG „Neue Informationsinfrastruktur für Forschung und Lehre“ (1996). Hans-Joachim Wätjen (UB Oldenburg) kommt das Verdienst zu, darauf aufbauend „Vorschläge zur Zusammenarbeit zwischen Hochschulrechenzentren und Hochschulbibliotheken“ zu entwickeln. Die gemeinsame (scherzhaft Viererbande genannte) Arbeitsgruppe Dr. Peter Schirmbacher/ Dr. Hans-Günther Schirdewahn (ZKI) und Elmar Mittler/ Hans-Joachim Wätjen (DBV Sektion 4), zu denen kurz vor dem Abschluss als Vertreter der Medienzentren (AMH) Philipp (Wuppertal) und Sievert (Paderborn) kamen, entwickelte daraus 1996/97 die 10 Thesen „Informationsinfrastruktur im Wandel – Herausforderungen für die Hochschulen und ihre Informations- und Kommunikationseinrichtungen“. Ein von der DFG gefördertes Symposium mit dem gleichen Titel am 15./16. September 1997 in Göttingen, an dem sich auch die Hochschulrektorenkonferenz als Mitorganisator beteiligte, machte deutlich, dass man den Nerv der Zeit getroffen hatte: Fast 300 Teilnehmer waren gekommen; außerdem wurde die Veranstaltung (damals ein kleine Sensation) über B-Win in den Multimediahörsaal der Uni Karlsruhe übertragen. Die Vorträge sind in BIBLIOTHEK Forschung und Praxis 22(1998) Nr. 1 dokumentiert. Der große Erfolg machte deutlich, dass die Zeit zum Handeln gekommen war. Inzwischen hatten sich auch Vertreter der Fachverbände gemeldet, die eine Kommission für Information und Kommunikation gebildet hatten (Eberhard Hilf (Oldenburg), später Prof. Dr. Roland Schwänzl (Osnabrück) und Prof. Dr. Peter Diepold (Berlin), so dass aus der Viererbande allmählich eine achtköpfige Gruppe mit der E-Mail-Adresse „Thesenbande@rz.hu-berlin.de“ wurde). Sie überarbeitete die Thesen und entwickelte Vorstellungen für Aufgaben und Organisation einer gemeinsamen Vereinigung, die dann am 22. Januar 1999 als „Deutsche Initiative für Netzwerkinformation – DINI“ in Göttingen gebildet wurde – zunächst als BGB-Gesellschaft noch ohne offizielle Satzung. Sprecher des Vorstands wurde der Verfasser dieser Zeilen. Danach ging es schnell voran: Peter Schirmbacher hatte die Federführung für einen DFG-Antrag übernommen, der für zwei Jahre Gelder zum Aufbau einer DINI-Arbeitsstelle einwerben sollte. Die Göttinger Akten, die mehrere Ordner prall füllen, zeigen, welche Umsicht notwendig war, um den Antrag vorzubereiten und erfolgreich zu stellen. Dr. Bunzel von der Geschäftsstelle der DFG erwies sich als loyaler Helfer. Im Frühjahr 1999 kam im Bibliotheksausschuss DINI zunächst nur am Rande eines Berichtes zur „Zusammenarbeit auf dem Informationssektor an den Hochschulen“ zur Sprache, zu dem Hans-Günther Schirdewahn geladen war. Als Mitglied des Ausschusses konnte ich mit Freude dessen Wohlwollen feststellen. Aber es waren noch harte Anforderungen zu bewältigen. Zu den schwierigsten gehörte natürlich die Eigenbeteiligung der Verbände, in deren Namen der Antrag gestellt wurde. Nachdem (unter anschließendem Grollen des Vorstandes) die Sektion 4 des DBV 10.000 DM zugesagt hatte, waren entsprechende Bewilligungen (Peter Schirmbacher hatte mit Engelszungen geredet) auch vom ZKI und dem AMH zu erhalten – nur die Verbände der Fachwissenschaftler erwiesen sich als so heterogen, dass die IuK-Kommission schließlich entsprechende Mittel nicht aufbringen konnte. Für die Antragstellung bei der DFG war es aber außerordentlich hilfreich, dass sich diese Gruppe aktiv einbrachte. Das war auch ein zusätzliches Merkmal der Initiative gegenüber der amerikanischen Coalition of Network Information (CNI), die in vieler Hinsicht als Vorbild diente. Peter Schirmbacher machte sich Mitte September 1999 bei einem Besuch in Washington mit den Details der Organisation vertraut. Dass schon Ende September die Bewilligung des im Juni gestellten Antrags kam, zeigt die Qualität des Programms, das die lokalen Informationsinfrastrukturen durch Impulse aus den regionalen, überregionalen und internationalen Erfahrungen fördern wollte. Beispielhafte Lösungen will man bekannt machen, Standards initiieren, Empfehlungen verbreiten, Workshops und Expertengespräche organisieren. Dafür standen nun eine Stelle IIa und eine halbe Stelle Vb BAT-Ost (das gab es damals noch) zur Verfügung. Die Besetzung aber dauerte länger als erhofft: Erst ab September 2000 arbeitete Frau Dr. Schimmelpfennig voll für DINI. Zu einer (von der DBV-Geschäftsstelle kritisch vermerkten) Hängepartie wurde die DINI-Website. Nicht technisches Unvermögen, sondern die verblüffende Tatsache, dass sich jemand die Website Dini.de gesichert hatte, dem man sie erst nach längeren Verhandlungen zu einem kleinen Betrag abkaufen konnte, war die Ursache. Trotz solcher Schönheitsfehler war die DFG mit dem Zwischenbericht von Peter Schirmbacher im August sehr zufrieden. Konnten doch inzwischen nicht weniger als fünf Arbeitsgruppen von Multimedia über Öffentliche Computerarbeitsplätze und Video-Konferenzen bis zum Elektronischen Publizieren Zwischenergebnisse vorweisen, die bei der ersten Jahrestagung „DINI 2000“ in Dortmund im September eine wichtige Rolle spielten. Die geballte Expertise, die sie zeigten, beeindruckte auch Ministerialvertreter wie Dr. Friedrich Bode aus NRW, die eine spartenübergreifende Zuarbeit von DINI für ihre Arbeit begrüßten. Auch zu Ministerin Edelgard Bulmahn vom BMFT konnte ein direkter Draht hergestellt werden. Trotz kurzfristiger Einladung waren rund 100 Teilnehmer nach Dortmund gekommen. Sie erlebten, wie eine „Rakete“ nach der anderen abhob: In einer Videokonferenz z. B. wurde Clyfford Lynch vom CNI mit seiner faszinierenden Ausstrahlung aus Washington aktiv in die Konferenz einbezogen; zweiter ähnlich prominenter Gast aus dem Ausland war Lorcan Dempsey (JISC), der über den Stand der Netzwerkentwicklung in Großbritannien sprach – klar, dass derartige Highlights nur durch die langjährige Verbindung von Peter Schirmbacher und mir zu den beiden möglich waren. „Das Internet zwingt zu globalem Denken und lokalem Handeln“ war die Devise, die Peter Schirmbacher in der Pressemitteilung vertrat. Konsequent stand am Schluss der Tagung der DINI-Appell an alle elektronischen Archive in Deutschland, die Spezifikationen der Open Archive Initiative zu implementieren, um internationale Kompatibilität zu erreichen. 2001 schlossen sich zwei Workshops zur konkreten Umsetzung des Appells an. In Dortmund gab eine Ideenbörse mit Kurzreferaten über Projekte die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen kennenzulernen, aber auch nützliche Partnerschaften zu vereinbaren.

Auch die 2. Jahrestagung am 4.12.2001 im Wissenschaftszentrum in Bonn wurde mit über 100 Teilnehmern ein voller Erfolg: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Dr. Bruno Zimmermann) und die Hochschulrektorenkonferenz (Joachim D. Weber) identifizierten sich in eindeutiger Weise mit den Zielen von DINI, die auch durch eine Umfrage der drei Verbände bestätigt worden waren. Die Tagung wurde in zeitlichem Zusammenhang mit dem Deutschen Forschungsnetz DFN durchgeführt, um – wie von vielen Seiten gewünscht – die Zahl der Sitzungstermine nicht unnötig zu erhöhen. Wieder wurden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen vorgestellt. Abschließende Form fanden die Empfehlungen „Elektronisches Publizieren an Hochschulen“ sowie zu Videokonferenznutzung (Partner der Arbeitsgruppe war hier das DFN-Videokonferenzzentrum in Dresden), die im März bzw. April 2002 als DINI-Schriften 1 und 2 elektronisch und im Druck an der Humboldt-Universität zu Berlin veröffentlicht wurden.

Im Alltag galt es, die Mühen der Ebene zu bewältigen. Klar, dass mancher bei den Verbänden im „Überverband“ DINI eine Gefahr für deren Eigeninteressen witterte. Durch die Zusammensetzung des Vorstandes aus je zwei Vertretern der Verbände und eines Beirates, in den sie weitere vier Vertreter entsenden konnten, wurde von Anfang an deutlich gemacht, dass letztlich die Verbände das Sagen haben sollten. Aber die finanzielle Abhängigkeit DINIs von jährlichen Zahlungen der Verbände, die letztlich doch eigentlich ohne große Probleme bis einschließlich 2002 gezahlt und mit kleineren Summen noch darüber hinaus gezahlt worden sind, war auf längere Sicht für alle Seiten nicht tragbar. DINI musste sich auf eigene Beine stellen – auch um die Auflage der DFG zu erfüllen, eine dauerhafte Fortführung der Arbeit durch Selbstorganisation zu erreichen. Die vielfältigen komplexen, aber wohl durchdachten Regelungen der Satzung von DINI (für deren Entwicklung Hans-Günther Schirdewahn die Nerven zermürbende Federführung übernommen hatte) lassen die dahinterstehenden Diskussionen und Kompromisse im Vorstand und mit den Verbänden noch ein wenig erahnen. Es sollte bis zum 18. März 2002 dauern, bis DINI als gemeinnütziger Verein nach Überwinden auch aller bürokratischen Hürden in Göttingen von elf Mitgliedern aus den drei Partnerverbänden und einer Fachgesellschaft gegründet werden konnte.

Wer dachte, nun seien alle Probleme gelöst, wurde bald eines anderen belehrt: Die Stunde der Wahrheit stand noch bevor. Doch man war gut gewappnet. Auf Vorschlag von Peter Schirmbacher hatte man im Januar 2002 in Göttingen erstmals eine zweitägige Klausurtagung des Beirats (die in einem preiswerten Göttinger Hotel durchgeführt wurde) ein Brainstorming zur Perspektive von DINI veranstaltet, das viele Ideen und einen breiten Konsens für die Fortführung des ehrgeizigen Programms (mit Themen wie E-Learning/Multimedia, E-Pub, CIO und Informationsmanagement, Öffentliche Computerarbeitsplätze und Videokonferenzsysteme) brachte. Brainstorming-Sitzungen wurden nach diesem Erfolg zu einer festen Einrichtung. Auch in der wichtigen Frage der Geschäftsstelle kam man zu einer tragfähigen Lösung: Die Universität Göttingen stimmte zu, dass die SUB Göttingen gegen Ersatz der Kosten für eine halbe BAT-IIa-Stelle und eine Sachkostenpauschale, die im Voraus zur Verfügung gestellt werden mussten, die DINI-Geschäftsstelle errichten durfte. Daraufhin konnte Heike Neuroth gewonnen werden, die Leitung zu übernehmen. Das heikelste Thema waren natürlich die Mitgliedsbeiträge, für die es vielfältige Modelle und Modellrechnungen gab, um die Kosten pro Mitglied niedrig zu halten und trotzdem ausreichend Mittel für die konkrete Arbeit zu haben. Bei der Sektion 4 des DBV übernahm ich es, beim ZKI Peter Schirmbacher, ein Modell vorzustellen, das die Beiträge von der Größe der Einrichtungen abhängig machte. Eine Art Quadratur des Kreises war, dass die Beitragshöhe zwar von Vorstand und Hauptausschuss erarbeitet werden konnte, aber nur die Mitgliederversammlung darüber bestimmen konnte, die im Rahmen der Herbsttagung am 30. 9. (der Sitzungen von AMH und ZKI ab dem 1. 10. folgten) in Dresden stattfand. Man musste also Mitglied werden, ohne noch genau zu wissen, welche finanzielle Belastung auf einen zukommen würde. Das einzige Argument, mit dem sich diese verzwickte Situation „verkaufen“ ließ, war, dass Mitglieder einen Einfluss auf die Höhe der Beiträge haben würden. Von den damals immerhin schon ca. 55 Mitgliedern waren 34 Vertreter anwesend, von denen die komplexe Wahl von Vorstand und Hauptausschuss erstmals absolviert wurde und dann – Ende der Zitterpartie – auch das vorgelegte Beitragsmodell akzeptiert wurde. Ich war froh, dass ich bei der Mitgliederversammlung abschließend erklären konnte, dass ich das Amt des Vorsitzenden des Vorstands (das ich einmal für ein Jahr akzeptiert und drei Jahre ausgeübt hatte) nun aufgeben könne und wolle. Der Vorstand wählte darauf auf meinen Vorschlag Peter Schirmbacher als neuen Vorsitzenden, der die Aufgabe 2003 übernahm und bis 2006 ausfüllte. Inzwischen waren wir längst Freunde geworden und zum vertrauten Du übergegangen. So schrieb ich in meiner Stellungnahme zum DINI-Abschlussbericht für die DFG: „Es war sehr schön in diesem Projekt mit Dir zusammenzuarbeiten.“ – und das sollte sich noch viele Jahre auf den verschiedensten Gebieten (auch bei der Weiterentwicklung des IBI) fortsetzen. Mit großem Dank erinnere ich mich an die Jahrestagung 2006, die zu meinem Abschied in Göttingen unter dem Motto „Exzellenz durch Information“ stattfand. Besonders glücklich war ich darüber, dass bei dieser Gelegenheit alle drei Verbände (bzw. die Sektion 4 des DBV) in diesem Rahmen tagten.

Mit der Gründung von DINI ist es gelungen, die Informationsinfrastruktur im richtigen Moment in Deutschland zu einem wichtigen Thema für Ministerien, Hochschulen, Förderungs- und Forschungseinrichtungen zu machen. Dabei war der Gedanke der nationalen wie der internationalen Zusammenarbeit besonders wichtig. Auf vielen Gebieten sind nachhaltig konkrete Aktivitäten von DINI ausgegangen. Die wichtigste war sicher die von Peter Schirmbacher in besonderer Weise geförderte neue Kultur des digitalen Publizierens. Das DINI-Zertifikat und die vielen Informationen und Services zum Open-Access-Publizieren auf der Website von DINI sind dafür sichtbare Beweise.

Peter Schirmbacher ist mit seinem rund 20-jährigen Einsatz bei der Vorbereitung, Gründung und praktischen Arbeit von DINI von 1996 bis 2015 so etwas wie der Mister DINI. Sein Einsatz hat sich gelohnt – auch weil er über DINI viele zum Mitmachen gewinnen konnte. Dafür sei ihm besonders gedankt.