Brief von Frank Scholze


Von Frank Scholze

Lieber Peter Schirmbacher,

es ist mir eine Ehre und eine Freude Dir einen kurzen Brief aus Anlass Deines Abschiedes von der Professur für Informationsmanagement am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin zu schreiben. Ich habe in meinen (wahrscheinlich nur noch teilweise vorhandenen) elektronischen Archiven gesucht und das älteste gemeinsame Dokument, das ich finden konnte, datiert vom 15. August 2000. Es ist der Bericht zum Workshop „Informationsdienste und elektronisches Publizieren in den Hochschulen“. Das Thema elektronisches Publizieren integrativ und umfassend anzugehen war Dir eine Herzensangelegenheit. Das ist aus dem Bericht zu spüren. Gleichzeitig zeigt er Deine ausgeprägte Neigung, aus der Sache heraus für kleine pragmatische Schritte der Verbesserung zu werben. Bei Dir kamen immer schon Top-down- und Bottom-up-Perspektive zusammen, auch wenn man dies damals in der Regel noch nicht so nannte. Bei Dir liest es sich folgendermaßen:

In erster Linie sieht sich DINI als Vermittler und Initiator und hat aus diesem Grunde Expertenworkshops organisiert, um aus den Erfahrungen und Diskussionen der Experten Empfehlungen für die DINI-Gemeinschaft zu initiieren. Gleichzeitig ist es zwangsläufig das Ziel, in solchen Expertengesprächen Defizite bei den vorhandenen Dienstleistungen in den Deutschen Hochschulen zu erkennen, aufzuzeigen und bekannt zu machen.

So ist in diesem frühen Bericht einer Bestandsaufnahme zum Thema elektronisches Publizieren schon alles angelegt, was sich dann in den kommenden Jahren in dem überaus erfolgreichen DINI-Zertifikat ausgearbeitet und umgesetzt wurde. Eine klare konzeptionelle Zielrichtung auf das große Ganze, die „Kultur des elektronischen wissenschaftlichen Publizierens“ und gleichzeitig die Wahrnehmung der operativen Vielfalt und Details als notwendige Mikrobausteine des „Kulturwandels“. Ich kann Dich folgerichtig nur als beharrlich-pragmatischen Visionär bezeichnen. Eine Beharrlichkeit, die bis heute trägt: Von 2004 bis 2016 erscheint das DINI-Zertifikat nun in 5 Auflagen und es hat die Kultur des elektronischen wissenschaftlichen Publizierens nicht nur beschrieben, sondern mitgeprägt.
Dir war auch im Jahr 2000 schon klar, dass ein Kulturwandel nur möglich ist durch einen langfristigen Bewusstseinswandel in der Aus- und Weiterbildung der Wissenschaft:

Es wird allgemein anerkannt, dass in den Hochschulen ein großes Defizit zum Thema elektronisches Publizieren existiert. Diese Defizite sind sowohl bei den Rechenzentren, Medienzentren und Bibliotheken als auch bei den Wissenschaftlern und Studierenden vorhanden. Es ist wichtig, den Unterschied zwischen dem elektronischen Publizieren im Vergleich zur traditionellen Weise herauszuarbeiten, um neben den Veränderungen während des Erstellungsprozesses auch die sich durch die elektronische Speicherung prinzipiell ergebenen erweiterten Möglichkeiten des Retrievals nutzen zu können. Um die Ausbildung der Hochschulangehörigen auf diesem Gebiet zu fördern, ist es notwendig, gesonderte Förderprogramme zu erstellen und langfristig entsprechende Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Diese Ausbildungsinhalte sind in die Curricula der Universitäten zu integrieren. Im Rahmen der Diskussion zum Wandel der Informationsinfrastruktur in den Hochschulen muss die Aus- und Weiterbildung auf diesem Gebiet gemeinsam von den Fachbereichen und Serviceeinrichtungen getragen werden.

So war es nur folgerichtig, dass Du 2006 die Professur für Informationsmanagement übernahmst – zusätzlich zu Deinen Aufgaben im CMS der Humboldt-Universität. Du hast Generationen von Studierenden für den Kulturwandel begeistert und mit den notwendigen Sachkenntnissen dazu ausgestattet. Trotz Deiner großen Erfolge bliebst Du immer ein angenehmer Gesprächs- und Projektpartner, der pragmatisch seine Visionen verfolgte. Auch das Thema Langzeitarchivierung elektronischer Hochschulschriften nahm im Bericht vom August 2000 schon breiten Raum ein – gelöst ist es bis heute nicht, aber schon damals hast Du auf die notwendige langfristig zu investierende Energie in technische und organisatorische Entwicklungen hingewiesen.

Ich möchte diesen kurzen Brief mit Deinen Worten beenden, die zu Beginn des Jahres 2017 im Zeichen der intensiven Verhandlungen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen mit Elsevier und anderen wissenschaftlichen Großverlagen (Projekt DEAL) brisanter und aktueller nicht sein könnten:

Die Aufgabe von DINI muss es sein, Querschnittsthemen, die die Serviceeinrichtungen und die Fachgesellschaften gleichermaßen betreffen, aufzugreifen und für die entsprechende Verbreitung zu sorgen. Auf dem Gebiet des elektronischen Publizierens werden neben den hier genannten insbesondere gesehen: elektronische Zeitschriften / elektronische Monographien der Verlage […] Abrechnungsmodelle, Lizenzmodelle, Konsortialslösungen eine weitere Detaillierung des Prozesses des elektronischen Publizierens.

Ich danke Dir für die gemeinsame Arbeit im Rahmen von DINI und diversen DFG-Projekten an der Kultur des wissenschaftlichen elektronischen Publizierens und wünsche Dir viel Freude im Kreis von Familie und Freunden.

Herzliche Grüße
Frank Scholze
Karlsruhe, 7.1.2017